Heimkehr

[47] Die Abendglocken tönen

hinaus ins stille Land –

die Weizenfelder glühen

im letzten Sonnenbrand

es schließen sich die Blüten,

die Lüfte flüstern lind:

Auch dir ist Ruh beschieden,

auch du bist Gottes Kind!


O Heimat meiner Lieben,

wie oft ertönte schon

in meiner Seele Ringen

dein Abendglockenton!

Wie oft, wenn ich im Hader

mit Gott und Welt erglüht,

ward er zu Friedensklängen

dem kämpfenden Gemüt!


Und wenn des Lebens Wogen

um mich gestürmt, gegrollt,

wenn fast mein Aug vertrocknen,

mein Mund verschmachten wollt,

wenn in des Tagwerks Mühen

erlahmt mein müder Fuß –

wie hab ich mich gesehnet

nach seinem Friedensgruß!
[48]

Und nun ich ihn vernommen

in meiner Väter Land,

nun leg ich wandermüde

den Stecken aus der Hand;

die Bürde werf ich lachend

hinab zum Straßenrain –

und unter Glockenklängen

geh ich zur Heimat ein.


Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910], S. 47-49.
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Der Freiheit zu eigen: Gedichte 1884-1905